Beim ersten Zusammentreffen nach der Derniere, erscheine ich also doch nicht „nackt“ sondern gleich mit zwei Möglichkeiten. „Figaro“ stößt auf höfliches, das Boulevardstück auf großes Interesse.
Das will Figaro nicht so einfach hinnehmen, „da wirst Du eben etwas Überzeugungsarbeit leisten müssen“ drängelt er.
„Vergiss es“, sagt das Boulevardstück, „gegen mich hast Du keine Chance"
„Das werden wir ja sehen, Du neumodisches Stück Druckerschwärze! Womöglich auf dem Computer geschrieben. Eh bien! Mich hat mein Autor noch mit der Feder geschrieben. Das hat Stil!“
„Und dauert ewig! Wahrscheinlich ist Dein Plot deshalb so lahm und meiner so rasant“
„Und oberflächlich! Ich war ein politisches Stück! Ich war mehrmals von der Zensur verboten!“ tobt Figaro.
„Das interessiert heute doch keinen Menschen mehr. Hast Du schon mal davon gehört, dass man sich auch überleben kann? Einige Stücke, wissen einfach nicht, wann sie in den Ruhestand gehen sollten! Unbelievable!“
„Was heißt hier Ruhestand, Du, Du…
„Hört auf zu streiten, Jungs!“ stöhnt die Regie, „ich kann meine eigenen Gedanken nicht mehr hören…“
Da kommt die erste Absage. Von einem der erfahrenen Stammspieler. Er studiert neben der Arbeit. Dazu noch Theater wird ihm zu viel. Er muss ein Jahr pausieren. Das schmälert die Besetzungsoptionen für „Figaro“ – wir können es immer noch besetzen, aber es ist kein Hin- und Herschieben mehr möglich, und wir müssen notfalls eine Männerrolle umdrehen. Könnte nicht der Gärtner eine Gärtnerin sein?
Die nächste Absage kommt zwei Tage später: wieder einer meiner bewährten Schauspieler. „Figaro“ ist damit erledigt. Beleidigt zieht er ab in den Blätterwald.
Und das Stück, das mir seit 11 Jahren nachläuft, steht vor mir und grinst. Die Waschmaschine schaltet auf das Programm „Besetzung“. Eine komplizierte Phase, in der man mit der größtmöglichen Sensibilität vorgehen muss. Und man muss so viel bedenken. Einer in der Truppe z.B. wird im Laufe des Jahres vielleicht versetzt, vielleicht aber auch nicht. Er braucht also eine Rolle, in die schnell ein anderer einsteigen könnte (wenn wir einen hätten) bzw. die notfalls von einer Frau gespielt werden kann. So eine Rolle ist in diesem Stück.
Dann ist da die Frage der Glaubwürdigkeit, z.B. was das Alter der Schauspieler angeht. Es genügt ja nicht, wenn ein Stück 5 Männer- und 4 Frauenrollen bietet, dass man die erforderliche Anzahl an Männer und Frauen in der Truppe hat. Sie müssen auch vom Alter und vom Typ her passen. Beispielsweise kann ich die Rolle einer Regieassistentin nicht mit einer 50-Jährigen besetzen (außer die Rolle verlangt danach), das würde unfreiwillig komisch wirken. Denn wenn sie mit 50 immer noch Regieassistentin ist, ist in ihrer Karriere etwas eklatant falsch gelaufen. Ebenso kann ein erfolgreicher Schriftsteller, der so viel Geld gemacht hat, dass er aus Steuergründen im Ausland lebt, kein sehr junger Mann sein. Irgendwann muss er seine Werke ja mal geschrieben haben.
Ein Regisseur hingegen, zumindest der einer Gurkentruppe, kann jedes Alter haben. Besetzt man die Rolle mit einem älteren Mann, könnte man ihn als eine gescheiterte Existenz verstehen, auf dem Weg nach unten. Wählt man einen jungen Schauspieler für diese Rolle, kann der einen Regisseur spielen, der sich erst noch einen Namen machen muss und will , und die Arbeit mit dieser Gruppe als eine weitere Stufe auf dem Weg zum Erfolg sieht.
Kann das Stück besetzt werden? Und wird es tatsächlich auf die Bretter gebracht?
Fortsetzung folgt - bleiben Sie neugierig!
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