Vom Bauernhof zum Räuberleben

Hier ist eine weitere Rolle aus dem kommenden Stück beschrieben. Das Besondere an dieser Beschreibung ist, dass der Inhalt weit über den Anteil im Stück hinaus geht. Es ist aber wichtig, dass sich Schauspielerin und Schauspieler ihre Rolle weit über das hinaus denken, was im Stück beschrieben ist, damit man sich umfänglich in die Rolle einfinden, empfinden und sie interpretieren kann. Kurzum geht es darum die Rolle bestmöglich zu beleben. Viel Spass beim Lesen der folgenden Zeilen!


Aufgewachsen bin ich auf einem Bauernhof, zusammen mit meinen Eltern und Geschwistern, wir führten ein normales bäuerliches Leben. Eben jenes Leben, dass für den Grafen keinerlei Bedeutung hatte, von dem er aber zu profitieren wusste. So wurden die Steuerabgaben immer mehr und schnell blieb von den guten Ernten kaum etwas übrig. Meistens reichten die Vorräte nur bis zur Mitte des Winters. Die restliche Zeit versuchten wir uns irgendwie anders durch zu schlagen. Verkauften alles was nicht niet- und nagelfest war um uns für überteuerte Preise vom Grafen Nahrung kaufen zu können, aber es war nur eine Frage der Zeit bis es nichts mehr zu verkaufen gab.
Bevor es soweit kommen konnte, lernte ich mit Pfeil und Bogen umzugehen. Auch wenn es im Winter schwer ist im Wald zu jagen, mit genügend Geduld wurde ich immer fündig. Nur erwischen lassen durfte ich mich nicht. Es war schließlich nicht unser Wald und damit nicht unser Wild, es gehörte dem Grafen, wie alles in seinem Land und während er immer mehr Reichtümer ansammelte und Nahrung in Hülle und Fülle besaß, war es uns verwehrt selbst jagen zu gehen, um nicht zu verhungern. Mehrmals musste ich die Jagd aufgeben und meinen Bogen verstecken, wenn ich jemandem im Wald begegnete. Obwohl auch sie nie Waffen dabei hatten fragte ich mich, wie viele von ihnen auch auf der Jagd waren und ihre Waffen irgendwo versteckt hatten um nicht erwischt zu werden.
Ich kann mich nicht daran erinnern, je bei der Jagd gesehen worden zu sein, trotzdem muss es irgendwie durchgesickert sein. Als ich eines Tages zurück kam, gut gelaunt, ich hatte ein Reh erwischt und im Wald versteckt, traute ich meinen Augen nicht. Rings um unseren Hof wimmelte es von den Lakaien des Grafens und das Haus stand lichterloh in Flammen. Ich konnte nicht bleiben, um zu erfahren was mit meiner Familie passiert ist, sonst hätten sie auch mich gefangen. Später erfuhr ich, dass keiner von ihnen die Flammen überlebt hatte.
An diesem Tag schwor ich, mich zu rächen, koste es was es wolle, aber alleine würde das schwer werden. Nur, dass ich nicht alleine war: Kaum dass ich in den Wald geflohen war, traf ich auf eine Räuberbande. Sie alle hatten einen Grund den Grafen zu hassen. Auch wenn sich die wenigsten von ihnen zum Räuber eigneten, blieb ich. Es war besser als sich alleine durchschlagen zu müssen. Wir veranstalteten einige kleinere Überfälle und die Gemeinschaft wuchs immer mehr zusammen. Die meisten wünschten sich ihr altes Leben zurück, wollten wieder ein einfaches Leben eines normalen Bürgers führen, aber mir war dieses sentimentale Gerede vollkommen egal, ich hatte noch immer nur ein Ziel. Ich wollte mich am Grafen rächen und ich konnte es mir nicht leisten neue Freundschaften zu schließen. Das Räuberleben war gefährlich ich wollte nicht noch einmal einen geliebten Menschen verlieren, also hielt ich sie mir alle auf Abstand. Was nicht besonders schwer war. Wie gesagt, abgesehen vom stellvertretenden Hauptmann war keiner fürs Räuberdasein gemacht. Drohte man ihnen mit Stress ließen sie einen sofort in Ruhe.
Schließlich hatten wir einen Plan, der mich meinem Ziel näher brachte. Die Entführung der Grafentochter und anschließende Erpressung des Grafen. Das Gold interessierte mich nicht wirklich, aber vielleicht kam ich nah genug an den Grafen ran, um ihm endlich alles heimzuzahlen. Es lief alles wie geplant, sie fielen auf unseren Plan rein und wir hatten sie sofort gefangen.
Während wir also in unserem Versteck auf die Übergabe des Lösegelds warteten, hatte unser Hauptmann nichts Besseres zu tun, als mit der Grafentochter anzubandeln. Wie er es zum Hauptmann geschafft hat, ist mir wirklich ein Rätsel. Wie kann man so weit vom Plan abkommen, wo der doch so einfach war.
Dasselbe konnte ich mich nur kurze Zeit später selbst fragen. In all den Jahren war ich meinem Ziel nie so nah gewesen. Nicht nur dass der Graf so dumm war, selbst zu kommen, er hatte auch kaum Männer dabei. Ein gezielter Schuss und alles wäre vorbei gewesen, bevor seine Leute überhaupt wussten was los war. Und dann kam er daher mit seinem sentimentalen Angebot, seiner gespielten Reue, bot unserm Hauptmann an, sein Land zurück zu bekommen, und jedem von uns, ein normales Leben zu führen. Wie sich alle darauf freuten! Nur ich nicht. Ein normales Leben brachte meine Familie nicht zurück. Was glaubte er? Das er mit so einem lächerlichen Geschenk all die Schrecken wieder gut machen konnte? Ich sollte ihn einfach erschießen, dann hätte ich endlich geschafft was ich mir all die Jahre gewünscht hatte, aber dann hätte ich allen anderen ihren Traum genommen, statt einem Leben in Freiheit hätte jedem einzelnen von uns der Kerker oder der Galgen gedroht. So lange hatte ich damit verbracht sie alle von mir weg zu stoßen, ja niemanden an mich heran zu lassen, damit mir genau das nicht passiert und dann? Dann steh' ich dort und konnte nicht mehr tun, worauf ich all die Jahre so sehnsüchtig gewartet hatte.
Und jetzt? Na ja, so schlecht wie die alle schießen, brauchen unser Hauptmann und der Rest der Bande dringend jemanden, der gut mit Pfeil und Bogen umgehen kann. Für die Jagd - und für den Fall, dass der Graf seine Meinung wieder mal ändert.

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